Das Museum als außerschulischer Lernort im Ganztagsbetrieb

Sylvia Günther M.A.

Das Museum als außerschulischer Lernort im Ganztagsbetrieb

Kooperationsprojekt des KPZ und einer 6. Ganztagsklasse der Hauptschule Bismarckstraße in Nürnberg

Das Museum als außerschulischer Lernort

Unterricht außerhalb des Schulgebäudes fand bereits im 19. Jh. im Heimatkundeunterricht statt und war Anfang des 20. Jh. erneut eine Forderung der Reformpädagogen. Auch heute hat das Lernen an außerschulischen Orten seine Berechtigung, wenn es dabei auch nicht mehr nur darum geht, Unterricht anschaulich und motivierend zu gestalten, sondern um die Erweiterung der inzwischen im Alltag reduzierten Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten des Kindes. Da Medien zunehmend die Vorstellungsbilder von Schülern beeinflussen, gewinnt auch die visuelle Erfahrung wieder an Bedeutung. Somit wird die virtuelle Realität, die in der Vorstellung der Kinder dominiert und oft ihre Fantasie prägt durch die eigens erlebte und wahrgenommene Wirklichkeit ersetzt. Dies kann sich inspirierend auswirken auf die eigene Imaginationsfähigkeit.

Durch die Öffnung der Schule hin zum Museum können sinnliche Erfahrungen und Erlebnisse ausgelöst und fachliche Kompetenzen gewonnen werden, was in der Schule so nicht möglich sind. Die Vielfältigkeit von Museen, ihrer Themen, Schwerpunkte und Objekte ermöglicht Lernen in verschiedenen Bereichen, wie z.B. historisches oder ästhetisch-gegenständliches Lernen. Dabei sind die Objekte immer Zeugnisse "entfernter Wirklichkeiten", sei es sozialer, räumlicher und zeitlicher Art. Aus dem Kontrast zwischen dieser entfernten und der eigenen Lebenswirklichkeit können Erkenntnisprozesse entstehen.

Das Besondere im Museum liegt in der Begegnung mit dem Original, dem unmittelbaren Zeugen von Geschichte, von Ideen und künstlerischen Ausdrucksformen. Die charakteristischen Eigenschaften eines Originals sind seine Authentizität und Anschaulichkeit, die Materialbeschaffenheit, die Farbe und die Größe. Diese zusammen können durch ihre Einzigartigkeit eine besondere Faszination ausüben. Unterricht im Museum, bei dem nicht auf Ersatzmaterialien zurückgegriffen werden muss, ist wesentlich effektiver und fördert den emotionalen Bezug zum Thema.

Ästhetische Bildung und Identität

Ästethik, allgemein gefasst, bezeichnet einen "Modus des Verhaltens zur Welt" (Otto, 2001). Ästhetische Bildung ist ausgelegt auf ein sinnlich orientiertes und subjektbezogenes Wahrnehmen und Deuten von Wirklichkeit, das in allen möglichen außerschulischen Lernorten zu inszenieren wäre. Im Sinne einer ästhetischen Bildung sollen die Kinder ihre Fähigkeiten entdecken, schätzen und erweitern. Das Erschließen und Verstehen künstlerischer Ausdrucksformen in ihrer Vielschichtigkeit, ihrer kulturtragenden Funktion und ihrer Symbolkraft kann ästhetische Erfahrungen ermöglichen. Dabei sollen Sensibilität, Fantasie, Imaginationskraft und Kreativität ebenso entfaltet werden wie das kritische, emanzipierte Zurechtfinden und Verhalten in einer weitgehend von Bildern bestimmten Welt. Dazu gehören auch Kenntnisse über historische und aktuelle Kulturgüter sowie über die ästhetischen Phänomene unserer Umwelt, z.B. in der Werbung.

Ziel ästhetischer Bildung ist aber nicht nur das Klären und Verarbeiten von Wirklichkeit, sondern auch das konstruktive, sinnstiftende Neuformulieren von Bedeutung tragenden Symbolen. Schüler sollen dazu angeregt werden, Gestaltungs- und Ausdrucksformen für ihre Wahrnehmungen und Eindrücke zu finden, und ihnen dabei Hilfe zur Verarbeitung, zur Klärung und zum Verstehen ihrer Lebenswirklichkeit zu bieten.

Um Jugendliche auf dem Weg zur mündigen Perspektivenübernahme zu unterstützen, bietet die ästhetische Bildung besondere Lernsituationen, die es ermöglichen, eigene Perspektiven wahrzunehmen, gleichzeitig aber auch Abstand dazu zu gewinnen und Perspektiven anderer einzunehmen. Die rezeptive und produktive Beschäftigung mit kulturellen Objekten, ermöglicht ein Wechselspiel von Identifikation und Sich-Einlassen auf Fremdes, das den Suchbewegungen von Heranwachsenden entgegenkommt. Somit werden sowohl die Selbstreflexion als auch das Fremdverstehen unterstützt und  tragen zu einem Teil der Identitätsentwicklung bei. (nach Kirchner, Ferrari, Spinner, 2006)

Der "Ganztagsbetrieb" an der Bismarckschule

In der 6. Ganztagsklasse wird ein schulisches Gesamtkonzept von Unterricht, Erziehung, ergänzender Förderung und Betreuung angeboten, an dem alle Schüler in der Zeit von 8.00 bis 15.30 Uhr teilnehmen müssen. Externe Kooperationspartner sind zur Betreuung von Schularbeiten vorwiegend am Nachmittag mit einbezogen. Das kulturelle Angebot des KPZ  fokussiert die Erreichung gemeinsamer Bildungs- und Lernziele und erweitert den regulären Unterricht durch die konkrete Auseinandersetzung "vor Ort". 

Zielsetzungen

  • Ästhetische Sensibilisierung im Sinne des Weckens bzw. der Förderung künstlerischer Erlebnisfähigkeit durch die Erweiterung des Empfindungs-, Wahrnehmungs- und Ausdrucksvermögens
  • Offenheit fördern, d.h. Unvoreingenommenheit gegenüber der Vielfalt künstlerischen Schaffens, Aufgeschlossenheit gegenüber Ungewohntem
  • Genussfähigkeit im Sinne von Freude am Betrachten der Kunstwerke und Geschmacksbildung. Die Schüler sollen das Museum als Ort der Überraschung, des Staunens und Entdeckens, der Bezauberung kennenlernen
  • Kreativität initiieren, z.B. durch die Anregung zu eigener künstlerischer Betätigung
  • Hauptschülern, im Sinne von Chancengleichheit, einen Zugang zu kultureller Bildung im Museum zu ermöglichen und sozial bedingte Hemmschwellen für einen Museumsbesuch abzubauen

Ablauf

Für das Projekt wurden sieben Termine im zweiten Schulhalbjahr 2010/2011 in unterschiedlichen Museen Nürnbergs durchgeführt. Die Veranstaltungen fanden jeweils mittwochs in der Zeit von 13.30 – 15.00 Uhr statt. Es nahmen 22 Schüler der Ganztagsklasse 6c der Bismarckschule teil.

1. Termin (16.02.)      
Orientierungsführung im GNM

Am Anfang des Projekts stand eine Begehung des Museums ohne nähere Erklärungen zu einzelnen Objekten oder Wegen. Nach dem Rundgang erinnerten die Schüler, was sie wahrnahmen und stellten dies skizzenhaft, in Form von mental maps dar. Für Treppen, Gänge, Ausstellungsobjekte etc. wurden Symbole gefunden und besondere Auffälligkeiten beschriftet. Anhand der Skizzen versuchten sie nun ihre Wahrnehmungsergebnisse zu versprachlichen und ihren Mitschülern näher zu bringen. Lichtverhältnisse, Größen, Baustile, Gerüche Temperaturen, Säulen, Treppen, Gänge, Übergänge, Ausstellungsräume, Türen, Wege etc. kamen dabei automatisch zur Sprache.

2. Termin (23.02.)      
Sonderausstellung "Reisebegleiter" im GNM

"Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er was erzählen." Nach dem selbständigen Betrachten von Reisebegleitern aus unterschiedlichen Zeiten wählten die Schüler einen Koffer aus, der sie besonders beeindruckte und  erzählten seine Geschichte. Für die nächste eigene Reise konnten sie dann einen Button prägen, der ihr Gepäckstück schmückte.

3. Termin (02.03.)      
Ausstellung Silvia Bächli in der Kunsthalle

"Zeichnen, zeichnen, zeichnen" war das Thema in der Kunsthalle. Von schnellen Blitzzeichnungen von Lichtschaltern, Steckdosen etc. bis zu Landschaftsskizzen nach Fotografien näherten sich die Schüler dem vereinfachten Darstellen von Wirklichkeit.

4. Termin (18.05.)      
Ausstellung "Kunst des Sammelns" im Kunsthaus

Nach dem selbständigen Erkunden der vier Ausstellungsräume wurden im Gespräch Fragen des Sammelns erörtert. Auch die eigene Sammeltätigkeit einiger Schüler stand im Mittelpunkt. Ausgehend von der Idee "Wir sammeln Miniaturen von Ausstellungsobjekten" fertigten die Schüler im Anschluss postkartengroße Zeichnungen an. Für die Organisation dieser Miniaturen in Form einer Ausstellung wurden unterschiedliche Hänge-Pläne überlegt und auf einer Fläche ausprobiert. 

5. Termin (25.05.)   
 "Vom Herrscherporträt zum Starposter" im Museum für Kommunikation Nürnberg

Im MKN stand vor allem mimisch und gestisches Verhalten im Vordergrund. Auch Kleidung als Mittel der Selbstdarstellung und Kommunikation wurde thematisiert. Die Schüler konnten Körperhaltungen und deren Wirkung ausprobieren und in Standbildern darstellen.

6. Termin (01.06.)     
"Videospiele von A bis Z" im Museum Industriekultur

Und zum Schluss war Spielen angesagt. Exponate aus der bayernweit wohl umfangreichsten Computersammlung werden als interaktive Ausstellung im Museum Industriekultur präsentiert. Ein wesentlicher Teil des Bestandes sind "historische" Konsolen und Videogames. Die Spielgeräte werden nicht nur in Vitrinen gezeigt. Im Gegenteil, hier konnten die Schüler alles benutzen und ihren Spieltrieb voll ausleben.

7. Termin (06.07.)      
Abschlussveranstaltung im KPZ

Die entstandenen künstlerischen Arbeiten werden im Foyer des Kunst-und Kultupädagogischen Zentrums präsentiert. In einem gemeinsamen Gesprächskreis ist vor allem die Meinung der Schüler gefragt. Das Projekt wird in seiner Gesamtheit reflektiert, auf Schwachstellen überprüft und Wünsche der Schüler aufgenommen.

 

Evaluation

Forschungsfragen

  • Entwickeln die Schüler Freude am Betrachten von Kunstwerken oder kulturellen Objekten im Museum?
  • Können die Schüler ihr künstlerisches Ausdruckvermögen erweitern?
  • Können die Schüler ihr sprachliches Ausdruckvermögen steigern?
  • Inwieweit können die Schüler eigene Ideen einbringen und umsetzen?

Methoden

  • Leitfrageninterviews (Lehrer)
  • Gruppeninterviews mit Schülern in der Mitte der Sequenz
  • Teilnehmende Beobachtung durch die begleitende Lehrerin
     

Qualitative Gruppenbefragung

Ort:  Hauptschule Bismarckstraße
Zeit:  Mittwoch, 30.03. 2011, 11.00-12.30 Uhr
Gruppe: Gruppenstärke für die Interviews max.6,
Interviewdauer pro Gruppe 15-20 Min.

Die Interviewform orientierte sich an der Moderationsmethode und enthielt eine halboffene schriftliche Befragung, Gruppendiskussion und Brainstorming.

Orientierungspunkte hierfür waren:

  • Was wurde bisher als positiv, aber auch negativ wahrgenommen?
  • Was wird von den Schülern spontan noch erinnert? Was ist im Gedächtnis geblieben?
  • Vorstellungen für die folgenden Termine!
  • Wünsche inhaltlicher oder organisatorischer Art!
  • Zukunftsperspektive!
     

Ergebnisse der Qualitativen Gruppenbefragung

Teambildung

Um das Miteinander und den kommunikativen Austausch der Schüler untereinander zu fördern, wurden zu Beginn jeder Veranstaltung Tandems gebildet, die die Ausstellung gemeinsam erkundeten. Diese Vorgehensweise wurde von allen Schülern als positiv angemerkt, allerdings sollte die Partnerwahl frei sein.

Bewegungsfreiheit

Die Schüler konnten sich in den Ausstellungsräumen weitgehend frei bewegen und sich zunächst selbst einen Überblick verschaffen. Das heißt, sie wählten selbst die Objekte, die sie betrachten wollten und verweilten bei den Exponaten länger, die sie mehr interessierten. Dies wurde sehr gut aufgenommen und bewertet. "Lernen im Museum ist eher spielerisch, in der Schule hat man genaue Vorgaben." Die genauen Vorgaben in der Schule wurden von vielen als "einengend" empfunden, der Unterricht im Museum hingegen als "weit", "in einer schönen Umgebung" und "mit Spaß". Es wurde als "Freizeitaktivität" gesehen.

Don´t touch and don´t talk too much

Nichts Anfassen zu dürfen wurde bemängelt auch wenn zu viel erklärt wurde, d.h. die Redeanteile von Seiten der Pädagogik zu groß waren. Dies wurde als "langweilig" empfunden.

Künstlerisches Gestalten

Das praktische künstlerische Tun, Zeichnen, Schreiben, Malen, Buttons herstellen wurde als "gut" eingestuft. Sie konnten ihre eigenen Ideen einbringen und gestalterisch umsetzen. Auch die Nachbereitungen in der Schule in Form eines Museumsbuchs zeigten die Nachhaltigkeit der Veranstaltungen.

Perspektive

  • Niemand will aussteigen
  • Eine Schülergruppe äußerte den Wunsch nicht mehr die Kunsthalle zu besuchen, weil zu langweilig, stattdessen andere Museen und mehr Aktion in Form von Ballerspielen
  • Weiterhin selbständig agieren dürfen
  • Teams selbst bestimmen
  • Einige Schülerinnen hatten den Wunsch richtig Zeichnen lernen zu wollen
  • Man sollte die Dinge anfassen können

Fortgang

Eingehend auf die Schülerwünsche nach mehr Aktion, mehr Anfassen und andere Museen, fanden die folgenden Veranstaltungen im Kunsthaus, im Museum für Kommunikation und im Museum Industriekultur statt.

Fazit

Die Veranstaltung "Videospiele" im Museum Industriekultur wurde von den Schülern als Favorit gewertet. Sie konnten viele Sachen selbst ausprobieren, auch mit Konsolen spielen, die sie Zuhause nicht haben, wie z.B. alte Konsolen und sie mussten nicht reden, sondern durften nur spielen. Das eigene Tun, auch mit anderen Partnern wurde generell als wichtig angesehen. Nur Betrachten, Zuhören und Zeichnen stellte für die meisten zu wenig Aktion dar und wurde als langweilig gesehen. Die Schüler interessierten sich auch für ausgestellte Gegenstände, alte wie neue, die im Germanischen Nationalmuseum und im Kunsthaus in der Ausstellung "Kunst des Sammelns" zu betrachten waren. "Es war interessant zu sehen, was die Leute alles sammeln und wie sie früher lebten. Insgesamt wurde das Projekt von den Schülern als gelungen bewertet und eine Fortführung befürwortet. Man sollte viele Museen besuchen, auch historisch interessante Orte, wie die Felsengänge und Lochgefängnisse, nur keine reinen Kunstmuseen mehr.

 

 

Literatur:
Otto, Gert / Otto, Gunter: Ästhetische Erziehung, Ästhetisches Lernen. In: Mette, Norbert / Rickers, Folkert (Hg.): Lexikon der Religionspädagogik. Bd.1. Neukirchen-Vluyn 2001.

Kirchner, Constanze u.a. (Hg): Ästhetische Bildung und Identität. München 2006.


Projektleitung
Sylvia Günther
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