Teilhabe an Kultur - Aktivierung von Wissen
Teilhabe an Kultur - Aktivierung von Wissen
Pilotprojekt des KPZ für Seniorenheimbewohner. Gefördert durch die Bürgerstiftung Nürnberg
Das Spielzeugmuseum Nürnberg als Ort der persönlichen Erinnerung und des intergenerativen Lernens. Fünfteilige Veranstaltungsreihe für Bewohner im Senioren- und Pflegeheim Stift St. Martin, Caritasverband Nürnberg e.V., im Spielzeugmuseum der Museen der Stadt Nürnberg.
Referentin für das KPZ: Dr. Annette Scherer
„Muse – Senioren Kunst vermitteln“
Das Spielzeugmuseum der Museen der Stadt Nürnberg mit seiner exzellenten Sammlung bietet vielfältige Möglichkeiten museumspädagogischer Veranstaltungen für alle Altersgruppen: Jeder von uns war Kind, die Begegnung mit Spielzeug berührt uns alle ganz unmittelbar.
Das KPZ initiierte eine Veranstaltungsreihe entwickelt für Menschen im Seniorenheim, die, u.a. aufgrund von körperlichen Einschränkungen, in der Regel von museumspädagogischen Seniorenprogrammen ausgeschlossen sind.
Das Pilotprojekt, das von Oktober bis Dezember 2012 durchgeführt wurde, ermöglichte Bewohnern des Seniorenheims Stift St. Martin die Teilhabe an Kultur durch praktische Erleichterungen – wie den Transport zum Spielzeugmuseum sowie die persönliche Begleitung im Museum.
Die Vermittlungsarbeit vor den Museumsstücken ging didaktisch neue Wege, um das Wissen der Senioren und ihre Erinnerungen zu aktivieren: Das Anschauen von Spielzeug aus der eigenen Kinderzeit, das Zuhören bei den Erläuterungen und die Möglichkeit, eigene Gedanken formulieren zu können, öffneten vergessene Zugänge zu Empfindungen und Lebenserfahrungen. Altersbedingte Defizite der Teilnehmer wurden berücksichtigt, ihre Stärken wurden herausgearbeitet.
Der Ablaufplan beinhaltete fünf Termine, zwei davon im Seniorenheim zur Vor- und Nachbereitung und drei Termine im Spielzeugmuseum.
Die drei Museumsveranstaltungen waren thematisch ausgerichtet.
1. Termin: Tiere im Spielzeug: Pferd und Teddybär
2. Termin: Mechanisches Blechspielzeug
3. Termin: Kindernähmaschinen & Puppenkleidung
An den gewählten Themen sind Veränderungen und Kontinuitäten in der Spielzeugwelt darstellbar, denn die Spielzeugwelt war einem gewaltigen Wandel unterworfen. Alle in den Veranstaltungen thematisierten Spielsachen werden heute immer noch angeboten, jedoch in völlig veränderter Form und Möglichkeit der Benutzung. Genau dieser Gesichtspunkt ist Basis für die in einem Nachfolgeprojekt geplante Weitergabe der veränderten Spiel-Erfahrungen von Senioren an Kinder.
Die Beschäftigung mit altem Spielzeug holt die Menschen bei ihren Erinnerungen und Lebenserfahrungen ab, jenseits von individuellen Bildungsvoraussetzungen, und auch jenseits von altersbedingten Einschränkungen. Es wird Spielzeug in den Mittelpunkt gestellt, das in der Kinderzeit der Teilnehmer modern und verbreitet war. Wer besaß solches Spielzeug? Wer durfte damit spielen? Wer spielte nicht damit? Das sind u.a. Fragen, die erörtert wurden.
Ablauf
Zehn Bewohner des Stifts St. Martin versammelten sich beim ersten Treffen zum Kennenlernen bei Kaffee und Kuchen im Stift. Bei den drei Museumsterminen waren sieben bzw. acht Teilnehmer vor Ort mit dabei. Beim Abschlusstreffen im Stift fanden acht Bewohner zusammen. Nur zwei männliche Bewohner nahmen teil – der Rest waren Frauen.
Teilnehmer der Jahrgänge von 1922 bis 1946 waren vertreten. Es war also ein Altersunterschied von bis zu 24 Jahren zu berücksichtigen, eine ganze Generation. Somit waren jüngere Senioren und Hochaltrige in der Gruppe. Die Alters- und Geschlechtsunterschiede waren bei der inhaltlichen Konzeption der Veranstaltungen zu bedenken.
Mit einem Einladungsschreiben in Großschrift lud die Referentin zu dem Projekt ein, stellte sich vor und bat darum, ein Kinderfoto mitzubringen. Ein Teilnehmer brachte Fotos aus seiner Kindheit mit, was einen leichten Einstieg in das Thema ermöglichte.
Um das Erinnern und das Reflektieren in Gang zu bringen, entschied sich die Referentin für die Methode der Biografiearbeit. Für die Besuche im Stift füllte sie einen alten Lederkoffer mit unterschiedlichen Spielsachen aus vergangenen Zeiten, alten Büchern sowie zwei alten Kinderfotos. Die Objekte dienten als Trigger, um verschüttete Erinnerungen an die Oberfläche zu holen, die Teilnehmer zu aktivieren und zum Sprechen zu bringen.
Bei jedem Museumstermin legte die Referentin bis zu drei Stationen im jeweiligen Raum fest, von wo aussagekräftige Objekte in den Vitrinen für alle gut einsehbar waren. Zudem stellte sie Anschauungsmaterial aus dem KPZ-Fundus zusammen, das die Teilnehmer in die Hand nehmen konnten. Für die Hochbetagten ist es vollkommen ungewohnt, einen Teddy oder eine Puppe im Arm zu halten, Puppenkleider zu bestaunen, heutige Plastikfiguren in den Händen zu halten. Haptische Elemente und Angebote waren enorm förderlich, um die Menschen zu erreichen.
Der Zeitaufwand für das Seniorenprojekt war groß. Zur inhaltlichen Vorbereitung war die jeweilige Spezialliteratur über Spielzeug zu studieren. Zeit kostete es, die räumlichen Gegebenheiten passend zu machen und alle beteiligten Personen zu informieren, etwa das Pflegepersonal im Stift oder die Museumsmitarbeiter. Zeit braucht der Bustransfer und das Ein- und Aussteigen. Zeit erfordert das Ablegen der Mäntel und Taschen und das Anziehen. Lange dauert das Platzieren und Umplatzieren in den Museumsräumen. Zeitintensiv sind vor allem das Kennenlernen und der Aufbau von Vertrauen. Zeit einzuplanen und Flexibilität mitzubringen, sind mit die wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen eines Seniorenprogramms. Über allem aber steht der entscheidende Punkt, dass der Referent Spaß daran haben muss, mit der Altersgruppe Senioren zu arbeiten, an ihnen und ihren Geschichten interessiert ist und auch akzeptieren kann, wenn er einige Teilnehmer nicht gleich oder gar nicht erreicht
Ergebnisse
Auffallend war die zunehmende Kommunikation der Teilnehmer, die sich von Termin zu Termin steigerte. Während die Referentin beim ersten Treffen immer wieder Impulse und Anstöße geben musste, genügte es bei fortschreitendem Projekt, einen Gegenstand lediglich zu zeigen, um die Teilnehmer zum Erzählen zu bringen. Schweigsame, zurückgezogene Personen trauten sich immer mehr, und auch die Formulierungsfähigkeit nahm bei allen zu. Die Teilnehmer haben sich erinnert und zugleich über ihr heutiges Leben reflektiert. Das Anschauen des Spielzeugs, das Zuhören bei den Erläuterungen und die Möglichkeit, eigene Gedanken formulieren zu können, öffnete neue und vergessene Zugangswege zu persönlichen Erinnerungen und Empfindungen. Es regte geistig an und förderte den Austausch untereinander.
Mit so unterschiedlichen Museumsthemen, wie sie vom KPZ, dem Leiter des Spielzeugmuseums und der Referentin zusammengestellt wurden, wurden ganz unterschiedliche Erinnerungen abgerufen und Denkanstöße gegeben: Über das Rollenverständnis und Erziehungsmethoden wurde berichtet, Alters- und Geschlechtsunterschiede thematisiert, Orte der Kindheit geschildert, Veränderungen in Nürnberg vor und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden benannt, über das eigene Familienleben und das gegenwärtige Leben im Stift wurde sinniert.
Auffallend war auch, wie sich das Verhalten der Teilnehmer im Laufe des Projekts veränderte. Einige Frauen haben sich von Woche zu Woche immer mehr herausgeputzt, schön angezogen und sind sogar extra zum Frisör gegangen. Für sie waren die Museumsausflüge etwas ganz Besonderes. Beeindruckend war auch, dass die körperliche Mobilität von Mal zu Mal zunahm. Fühlte sich beim ersten Museumstreffen noch kein Teilnehmer in der Lage, drei Treppenstufen zu steigen, wurde ab dem zweiten Treffen im Museum dieses Hindernis genommen.
Alle teilnehmenden Bewohner von St. Martin sowie die Pflegeleitung haben die Rückmeldung gegeben, dass es ihnen Spaß gemacht hat, sie viel Neues erfahren haben und dass sie weitermachen wollen mit einem solchen Programm. Ausdrücklich betonten die Senioren, dass sie sich durch das Spielzeug an so viel schöne Dinge erinnert fühlen, die sie gerne anderen Menschen mitteilen möchten.
Das KPZ geht mit diesem Format neue Wege in seinem Auftrag, die Museen bei der Realisierung barrierefreier Bildungschancen für alle Zielgruppen zu realisieren. Darüber hinaus will das KPZ mit dieser innovativen Veranstaltungsreihe nachhaltige Prozesse anstoßen. In zukünftigen Projekten soll die Weitergabe von Erfahrungen aus Kindheit und Jugend der Älteren an die junge Generation im Zentrum stehen.
Das KPZ antwortet damit auf den demographischen Wandel: wir ermöglichen Vermittlungsarbeit für Hochbetagte und verfolgen als mittelfristiges Ziel ein generationsübergreifendes Schul-Angebot für den Dialog der Generationen.
Kontakt im KPZ:
Dr. Jessica Mack-Andrick
Stellvertretende Leiterin
(0911) 1331 237
j.mack-andrick.kpz@gnm.de